Berliner Bohème
Künstler und Kneipen

Film von Dietmar Buchmann
(Buch und Regie)

Dokumentation, Betacam, 45 min, Farbe
Produktion des Sender Freies Berlin 1989

Auszug aus dem Exposé

Historisch lässt sich die Berliner Boheme leicht fassen, was aber bedeutet der Begriff Boheme für die Gegenwart? Er scheint nicht besonders brauchbar, um heute noch einzelne oder gar ganze Gruppierungen zu bezeichnen. Trotzdem sind die Eigenschaften und Lebensweisen, die der Boheme nachgesagt werden, natürlich nicht verschwunden. Im Gegenteil, gerade in Berlin sind sie heute mehr denn je existent. Durch die massenhafte Verbreitung ihrer Verhaltensweisen und Werte hat die Boheme ihren früheren, einigermaßen exclusiven Charakter zwar verloren, aber sie ist über das Stadium einer Subkultur hinaus zu einer neben der offiziellen, bürgerlichen Kultur existierenden Alternativkultur geworden.
So wild die Bohemiens des 19. Jahrhunderts sich gaben, sie waren nicht nur Gegensatz, sondern mit ihrem Individualismus, Liberalismus etc. eben auch Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft. Boheme und Alternativkultur haben das gleiche Lebenselixier: Spontaneität, ständiges Improvisieren zur Erhöhung der Lebendigkeit des Lebens und die Selbstverwirklichung gegen herrschende Zwänge um jeden Preis. Der Menschentyp, der dies verkörpert, ist durchgängig. Schon Max Stirner, der Philosoph der Boheme, hat ihn beschrieben: radikaler Individualist, egoistisch, egozentrisch, egoman (Geniekult), ein Narziss besonderer Ausprägung.
Je forcierter das Selbstbewusstsein, je ausgeprägter die Selbstbezogenheit, desto stärker wird das Bedürfnis nach unentwegter Kommunikation. Der geeignete Ort hierfür kann schwerlich die eigene Wohnung sein, wohl aber die Kneipe. Hier können die kommunikativen Fähigkeiten gedeihen, ohne dass einschränkende Verbindlichkeiten oder gar Verpflichtungen entstehen. Die öffentlichen und doch halbwegs intimen Räume entlasten von hierarchischen Strukturen. Das entsprechende egalitäre Glücksgefühl drückt John Höxter folgendermaßen aus.
" Dies rauchige Café ist unser Reich,
Vor Gott und dem Kellner sind wir alle gleich. "